Christoph Bruns, Loys

„Die Autoindustrie wird nie eine Zauberbranche“

Trotz des jüngsten Aufschwungs von VW an der Börse sieht der Vermögensverwalter Christoph Bruns die Automobilbranche nicht als attraktives Investment. Grund sind unter anderem die schwachen Margen.

„Die Autoindustrie wird nie eine Zauberbranche“

Wolf Brandes.

Herr Bruns, Sie leben als deutscher Fondsmanager seit vielen Jahren in Chicago. Wird Ihnen langsam mulmig angesichts des anhaltenden Rekordlaufs der US-Aktien?

Nicht erst seit Corona, sondern seit der Finanzkrise 2008 sind die Geldtore weit geöffnet. Heute ist klar: Jede Krise wird durch die Notenbanken bekämpft werden. Die Negativzinsen haben zur Folge, dass es jetzt Verwahrentgelte gibt. Gerade die Deutschen reagieren sehr empfindlich bei solchen Strafgebühren. Aktien sind die einzig große und liquide Anlagegattung, in die man noch sinnvoll investieren kann. Daher ist es kein Wunder, dass sich jeden Tag jemand von seinen Termingeldern verabschiedet und an die Börse geht.

Der Boom hat in den USA zu einem starken Ungleichgewicht geführt. Technologiewerte sind stark gelaufen, während der breite Markt nicht hinterherkommt. Wie geht es weiter?

Wir erleben eine Zäsur im ganzen Wirtschaftsleben. Wenn wir vom Tech-Boom reden, meinen wir Softwareunternehmen, die unvorstellbare Spiele herstellen oder das Internet umkrempeln. Die wachsen und wachsen, haben dabei kaum Kapitalbedarf und sind profitabler als die meisten anderen Unternehmen. Der Markt unterscheidet zwischen einer Neuen Welt und der Old Economy. Also Firmen, die Autoteile herstellen oder so etwas. In der Neuen Welt ist die Profitabilität deutlich besser.

Wo sehen Sie Grenzen des Wachstums bei den Tech-Werten?

Auf den ersten Blick keine, denn das Phänomen Internet ist weltumspannend, und mit Apps ist eine schnelle Erschließung von Märkten möglich. Aber natürlich gibt es Grenzen. Bei den Tech-Giganten haben sich monopolistische Strukturen gebildet. Das ruft den Gesetzgeber auf dem Plan. Ein Beispiel dafür ist Australien und der Streit mit Facebook um Urheberrechte. Denn es gibt nun mal Unternehmen, die Nachrichten produzieren, und andere Unternehmen, die von diesen Nachrichten kostenlos profitieren. Es ist die Frage, ob es möglich ist, das zu verändern.

Wie schätzen Sie das ein?

Ich fürchte, Staaten werden nicht schlagkräftig gegen die monopolistischen Strukturen vorgehen. Anders sieht es aus, wenn man das moralische Narrativ gewinnt. Wenn es durchweg als unmoralisch angesehen wird, dass die großen Internet-Datenkraken von der Arbeit anderer profitieren. Wenn Facebook und Google & Co. die negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn die öffentliche Meinung kippt, dann müsste man deren Geschäftsmodelle anders bewerten.

Was treibt dieser Tage die Kurse der Unternehmen außerdem?

Das sind die Indexfonds. Wenn Anlagevehikel automatisch kaufen müssen, führt das dazu, dass ein Großteil des Geldes in die größten Unternehmen fließt.

Von der Neuen zur Alten Welt. Nehmen wir einen Autohersteller wie VW. Der ist in den letzten Wochen extrem gut gelaufen. Finden Sie das erstaunlich?

Bei Amazon hat man früher gesagt: Die Tatsache, dass Amazon im Buchgeschäft ist, macht das Buchgeschäft nicht zu einem guten Geschäft. Die Automobilindustrie ist auch kein gutes Geschäft, die Margen sind schwach, wegen der Größe der Unternehmen redet die Politik mit und außerdem sind die Arbeiter gewerkschaftlich stark gebunden. Die Automobilindustrie wird nie eine Zauberbranche werden. Aber der Markt ist manchmal verrückt und behandelt solche Unternehmen wie Tech-Werte. Beispiel Tesla – die sind nun mal ein Autohersteller, der Teile aus Plastik und Metall pro­duziert.

In Ihrem Fonds stehen Deutsche Telekom und Deutsche Post unter den Top-Werten. Warum?

Beide Unternehmen halte ich für Krisengewinner. Die Post ist der strahlende Stern am deutschen Logistikmarkt. Im Vergleich dazu ist in vielen Ländern die Privatisierung der Post gescheitert. Die Telekom ist mutig geworden, sie hat international zugekauft und gehört zu den ganz wenigen großen Telekomgesellschaften, die in Europa und in Amerika stark sind. Der Bedarf an Telekommunikation und Internet ist gestiegen, keiner verzichtet in der Krise auf sein Handy. Für mich ist die Deutsche Telekom ein deutscher Triumph.

In Ihrem Fonds setzen Sie stark auf Deutschland. Warum?

Das ist eine Frage der Bewertung. Wir haben auch einen großen Anteil in Japan investiert. Der Fonds heißt Loys Global und investiert global. Aktien in den USA sind zu teuer.

Ist das der Grund, warum Sie stark in die beiden Aktien Gazprom und Lukoil investiert sind?

In der Tat, russische Aktien sind günstig. Aber es hat noch einen anderen Grund. Im Rohstoffsektor sehen wir den Trend, dass Chemiewerke und Raffinerien aus ESG-Gründen weltweit manchmal gar nicht mehr betrieben werden können. Es kommt ja bald so weit, dass Öl- und Chemiefirmen sozial geächtet werden. Aber die Produkte werden weiter benötigt. Das wird bedeuten, dass die Produktion in Entwicklungsländer wie Brasilien und Russland abwandert.

Ist für Sie ESG kein Thema?

Natürlich spielt es eine große Rolle. ESG ist bei uns im Fonds ein Thema, und es gibt eine entsprechende Klassifizierung. Ob der ganze Trend klug ist, ist eine andere Frage. Nehmen wir noch mal Tesla: Auch bei einem E-Auto muss die Energie irgendwo herkommen. Frage auch beim G: Wie sieht es mit der Governance aus, wenn eine Firma keine Gewerkschaften zulässt? ESG kann man machen, aber man sollte der Kapitalallokation nicht zu viele Ziele aufbürden. Nachhaltigkeit ist gut gemeint, aber letztlich kann ESG auch in die falsche Richtung führen.

Zurück zu Bewertungen, die für Sie bei der Auswahl eine große Rolle spielen. Jetzt ist Dividendensaison. Welche Bedeutung hat für Sie die Dividendenrendite?

Keine. Am Ende entscheidet, dass ein Cash-flow erzielt wird. Wie das Unternehmen den Cash-flow verwendet, ist eine andere Frage. Es ist sicherlich disziplinierend, wenn ausgeschüttet wird. Ich mag Dividenden daher, aber es ist nicht entscheidend für die Bewertung und die Auswahl.

Was sind andere Bewertungskennzahlen, die Sie bevorzugen?

Es geht um Unternehmen, die wachsen können. Ich achte auf eine starke Marktposition, die nicht so einfach von Wettbewerbern zerstört werden kann. Wir haben zum Beispiel eine BP im Portfolio. Die gehört in die Kategorie unbeliebter Aktien, deren Preise entsprechend niedrig sind. Unbeliebtes mag ich gerne. Zum Beispiel Einzelhandel und Energie. Da finden sich wunderbare Kaufgelegenheiten. Es mag ja sein, dass am liebsten keiner mehr Energie verbrauchen möchte, aber so ist die Welt nicht. Fossile Energieerzeuger wird es auch morgen geben.

Was sind die konkreten Bewertungskriterien bei Ihnen?

Wenn Sie KGV, Buchwert oder so etwas hören wollen – so arbeite ich nicht. Bleiben wir mal beim Rohstoffsektor und schauen uns den Ölpreis an. Vor einem Jahr war der extrem niedrig und Rohstoffaktien sehr schwach. Die Unternehmen hängen an den Rohstoffpreisen, und die Aktienkurse steigen schnell, wenn die Rohstoffpreise anziehen.

Sehen Sie den Rohstoffsektor immer noch so positiv?

Es ist einer der Sektoren, der das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht hat. Noch etwas: Wenn sich die Wirtschaft wieder komplett öffnet, wird wieder verreist. Dann werden auch Reiseunternehmen interessant. Ich setze auf vernachlässigte Branchen. Wir haben uns unter dem Aspekt Rolls-Royce genauer angeschaut.

Was halten Sie von Lufthansa?

Da wäre ich vorsichtig, denn hier stellen sich strukturelle Fragen. Das Geschäft ist extrem kapitalintensiv, und in jeder Krise leidet der Luftverkehr besonders, so dass am Ende der Staat einschreiten muss. Interessanter ist ein Unternehmen wie Fraport.

Privatanleger strömen in den Börsenhandel. Auch in ETFs, was Sie kritisch sehen. Warum?

Es tut mir leid, aber die Börse ist eine Expertenveranstaltung. Es kann nicht sein, dass alle Boote gehoben werden, weil viel Kapital investiert wird. Einfach mal einen ETF kaufen, das reicht nicht. Wenn sich junge Leute für die Börse interessieren, ist das wunderbar, aber es geht ihnen oft um die Spannung. Viele laufen Moden hinterher und kaufen Unternehmen, die zu teuer sind. Wenn die nächste Baisse kommt, ist der Katzenjammer groß.

Ein Phänomen sind Spacs, Zweckgesellschaften. Kauft man mit einem solchen Börsenmantel die Katze im Sack?

Das wäre schön, denn man kauft einen Sack ohne Katze. Wir haben im ersten Quartal mehr als 300 Spacs in den USA gesehen, bei denen oft mit Prominenz geworben wird. Das finde ich gefährlich. Ob Spitzensportler oder Ex-Vorstände wie jetzt Blessing und Kleinfeld – die haben in vielen Fällen von Tuten und Blasen keine Ahnung. Der Kapitalmarkt ist keine Spielwiese, sondern hat für die Volkswirtschaft eine Bedeutung.

Das Interview führte