Christopher Mellor

„Blockchain-Lösungen ordnen Lieferketten neu“

Der ETF-Experte Christopher Mellor sieht durch den Vormarsch von Distributed-Ledger-Technologien große Anlagechancen. Insbesondere Entwickler wie IBM und Oracle seien dabei interessant.

„Blockchain-Lösungen ordnen Lieferketten neu“

Alex Wehnert.

Herr Mellor, der Bitcoin-Boom hat auch den Distributed-Ledger-Technologien hinter den Kryptowährungen deutlich mehr Aufmerksamkeit beschert. In welchen Anwendungsbereichen sehen Sie langfristig das größte Potenzial für Blockchain-Investments?

Bei den Kryptowährungen herrscht momentan sicherlich die größte Aktivität, hinsichtlich der Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind Cyberdevisen aber nicht die wichtigsten Blockchain-Applikationen. Stattdessen liegt der größte Mehrwert wohl in Anwendungen, die Unternehmen tatsächlich Effizienzgewinne im operativen Geschäft ermöglichen.

Zum Beispiel?

Blockchain-Lösungen ordnen globale Lieferketten neu. Das zeigt sich unter anderem in der Lebensmittelindustrie: Das Blockchain-basierte „Food Trust“-Netzwerk etwa macht die Versorgungskette in der Branche durch dezentrale Buchführung und standardisierte Prozesse transparenter und effizienter. So können Supermarktketten wie Walmart Lebensmittelsicherheit verbessern und Abfall reduzieren. Ein anderes Beispiel ist die „Tradelens“-Lösung, die es Hafenbetreibern und Logistikunternehmen wie Maersk ermöglicht, Container präzise nachzuverfolgen. Aus Investmentperspektive sind dabei besonders die Entwickler solcher Blockchain-Lösungen wie IBM oder Oracle interessant.

Dennoch haben Unternehmen mit einer direkten Exposition gegenüber Kryptowährungen im Index, den der Invesco Elwood Global Blockchain ETF abbildet, ein hohes Gewicht.

Momentan stellen Kryptowährungen eben die offensichtlichste Gelegenheit dar, um am Vormarsch der Blockchain zu partizipieren. Deshalb sind im Index zahlreiche Unternehmen vertreten, die von einem Aufschwung bei Bitcoin oder Ethereum profitieren. Das sind Finanzdienstleister wie der japanische Krypto­broker Monex, die kalifornische Silvergate Capital, die Bitcoin-besicherte Kredite an Fintechs vergibt, oder Terminbörsen wie die Chicago Mercantile Exchange, an der Bitcoin- und Ethereum-Futures handelbar sind. Es gehören aber auch Unternehmen dazu, die neue Bitcoin-Einheiten schürfen oder die Hardware für das Mining produzieren, zum Beispiel hochleistungsfähige Halbleiter.

Allerdings verbraucht Bitcoin-Mining aufgrund der benötigten Rechenkapazitäten viel Strom. Wird dies zum Problem, gerade weil Nachhaltigkeit an den Finanzmärkten zum bestimmenden Trend geworden ist?

Die Frage nach der Energieeffizienz kommt verstärkt auf und ist sicher berechtigt. Allerdings stammt der Großteil des für das Mining benötigten Stroms nicht aus fossilen Quellen, sondern aus gestrandeten Ressourcen. Wenn zum Beispiel der Bedarf an Industriemetallen fällt, können Bergbaukonzerne wie Rio Tinto die für die Aluminiumschmelze eingeplante hydroelektrische Energie stattdessen für den Betrieb von Rechenzentren nutzen. Das Wachstum der Kryptowelt könnte auch Anreiz für den Ausbau erneuerbarer Energien liefern.

Für dieses Wachstum war in den vergangenen Monaten insbesondere das verstärkte Engagement institutioneller Investoren entscheidend. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen?

Das institutionelle Interesse an Distributed-Ledger-Technologien und Kryptoassets befindet sich noch in einem frühen Stadium. Unternehmen wie Tesla oder Microstrategy, die Teile ihrer Barreserven in Cyberdevisen angelegt haben, stellen die Speerspitze einer langfristigen Bewegung dar. Für die Aktie von Microstrategy ist die Kursentwicklung von Bitcoin mittlerweile wichtiger als die Erlöse aus dem fundamentalen Software-Geschäft. Bis mehr etablierte Unternehmen aus der Mitte der Wirtschaft Barreserven in Kryptowährungen halten, wird es sicher noch einige Jahre dauern. Für Distributed-Ledger-Technologien gilt: Je mehr sie in der Realwirtschaft genutzt werden, desto stärker wird der kreative Prozess befeuert und desto mehr neue und innovative Lösungen werden entstehen.

Welche Rolle spielt das Direktlisting der Kryptohandelsplattform Coinbase an der Nasdaq für eine breitere Akzeptanz der Kryptowelt im regulären Finanzmarkt?

Bei der Rückschau in 20 Jahren wird der Coinbase-Börsengang sicher als Meilenstein gelten. Er war zwar nicht der erste seiner Art, aber der bisher größte und möglicherweise wichtigste. Das Listing stellt die Fortsetzung eines Trends dar, in dessen Zuge sich mehr und mehr Pure Plays mit direkter Kryptoexposition an den Markt wagen, zum Beispiel die kanadischen Miner Hive und Hut 8 oder der in Deutschland basierte Handelsplattform-Betreiber Bitcoin Group.

Die Allokation solcher Titel, die direkt von Bitcoin und Ethereum abhängig sind, beschert Ihrem ETF allerdings auch eine relativ hohe Volatilität.

Seit der Auflage im März 2019 hat das Produkt Wertgewinne von mehr als 200% erzielt und gegenüber den globalen Aktienmärkten eine Outperformance von über 100% hingelegt. Eine solche Entwicklung geht nun einmal mit einiger zusätzlicher Volatilität einher. Über das vergangene Jahr betrachtet fallen die Standardabweichungen im Index, den wir abbilden, aber nur leicht höher aus als die Schwankungsbreiten im MSCI Technology – und gegenüber der Volatilität des Bitcoin-Kurses über den gleichen Zeitraum wirken sie mehr als verkraftbar.

Wie ist der ETF denn für kräftigere Kursrücksetzer bei Bitcoin positioniert, nach denen sich viele Investoren kurzfristig verabschieden?

Der Basisindex ist ein Korb globaler Aktien mit starkem Gewicht auf IT und die Finanzbranche. Im schlimmsten Fall sollte er eine ähnliche Entwicklung nehmen wie die globalen Aktienmärkte, im besten Fall sorgt die Blockchain-Exposition für hohe Überrenditen. Mitte 2020, als Bitcoin stagnierte, wurde die Performance von Titeln gestützt, die für eine zunehmende Digitalisierung gut aufgestellt waren. So ist Overstock im Index, weil die Firma in verschiedene Blockchain-Technologien in­vestiert – das Hauptgeschäft ist aber der Online-Verkauf von Möbeln. Das Unternehmen hat also massiv vom Wechsel vieler Arbeitnehmer ins Homeoffice profitiert.

Am Markt sind die Starts von Bitcoin- und Ethereum-ETFs in Kanada momentan ein heißes Thema. Welches Potenzial bieten solche Vehikel zum Beispiel den USA?

In den USA gibt es ja bereits Bitcoin-Trusts, die auf ein signifikantes verwaltetes Vermögen kommen. Für institutionelle Investoren, die solche Vehikel ähnlich wie Goldfonds zur Diversifikation nutzen wollen, erfüllen die bestehenden Produkte ihre Ansprüche an Verwahrung und Risikobegrenzung aber teilweise nicht. Wenn der Markt stärker gereift ist, werden etablierte Investmentmanager daher Produkte, ob Trusts oder ETFs, auf Bitcoin anbieten und dabei mit den größten Verwahrern der Welt zusammenarbeiten.

Das Interview führte