Ophelia Snyder

„Der FTX-Crash hätte sich vermeiden lassen“

Ophelia Snyder sieht in der aktuellen Kryptokrise massives regulatorisches Versagen. Trotz der Turbulenzen rechnet die Präsidentin des Produktanbieters 21.co aber mit neuen Aufschwüngen digitaler Assets.

„Der FTX-Crash hätte sich vermeiden lassen“

Alex Wehnert.

Frau Snyder, wie langfristig dürfte der Kollaps der Handelsplattform FTX den Kryptomarkt belasten?

Aktuell sieht das Umfeld für Kryptowährungen natürlich düster aus, die Überlebensfähigkeit der zugrundeliegenden Technologie ist dadurch aber nicht gefährdet. Die Entwickleraktivität im dezentralisierten Finanzwesen ist ungebrochen hoch und hat zuletzt sogar angezogen, die Performance der zugehörigen Protokolle fällt in einem Umfeld angespannter Liquidität außergewöhnlich gut aus. Und auch die Kurse führender Cyberdevisen wie Bitcoin und Ether sind weniger stark gefallen als von vielen Analysten befürchtet. Diese Robustheit dürfte einige Investoren durchaus zu einem Engagement im Markt ermutigen.

Das klingt sehr optimistisch, schließlich befürchten Beobachter doch eine schwerwiegende Insolvenzwelle im Segment…

Die Schäden, die der FTX-Crash am Investorenvertrauen verursacht hat, möchte ich nicht kleinreden. Die Kryptobörse hatte ja auch viel Ven­ture Capital eingesammelt, diese Geldgeber dürften den Markt nun erst einmal skeptisch betrachten. Doch je mehr Zeit vergeht, ohne dass weitere zentrale Spieler der Kryptobranche zusammenbrechen, desto unwahrscheinlicher wird auch eine langanhaltende Insolvenzwelle. Im Fall des in Bedrängnis geratenen Brokers Genesis hat sich zum Beispiel eine hohe Bereitschaft von Gläubigern und Investoren gezeigt, mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Bleibt die große Pleitewelle wie von uns erwartet aus, dürfte sich auch die Investorenstimmung aufhellen.

Inwieweit muss sich dennoch die Transparenz in der Digital-Assets-Branche verbessern?

Das ist sicherlich entscheidend, um das Vertrauen der Investoren zu stärken. Dabei dürfte auch eine progressivere Regulierung helfen. Dass Gesetzgeber und Notenbanken das Segment ernst nehmen, zeigt sich ja an den laufenden Projekten zur Entwicklung digitalen Zentralbankgelds. In Entwicklungs- und Schwellenländern werden Kryptowährungen zunehmend als offizielle Zahlungsmittel akzeptiert werden. Und die Europäische Union hat mit der Verordnung Markets in Crypto Assets – MiCA – ein einheitliches Rahmenwerk für digitale Anlagen auf den Weg gebracht.

Aufseher und Notenbanker in den USA und Europa haben im Nachgang des FTX-Crashs aber ein härteres Vorgehen gegen Digital-Assets-Dienstleister in Aussicht gestellt. Dürfte die Wirkung der Regulierung also auch davon abhängen, wie konfrontativ Behörden dabei agieren?

Ein stringentes Durchgreifen wäre aus unserer Sicht nur wünschenswert. Es braucht keine schlechten Ak­teure mit einem hohen Grad an Verschuldung in unserem Markt. Der FTX-Crash hätte sich durch Regelwerke wie MiCA vermeiden lassen, die aktuelle Krise ist also auch auf ein massives regulatorisches Versagen zurückzuführen. Wir fordern nicht, dass Ge­setzgeber und Notenbanken auf einmal jeden Winkel des komplexen Digital-Assets-Segments abdecken, grundlegende Spielregeln wären in vielen Fällen schon hilfreich. Dazu zählen auch stärkere Of­fenle­gungs­pflichten für Dienstleister wie Kryptobörsen und Produktanbieter.

In welchem Zeitrahmen dürften solche Regeln etabliert und durchgesetzt werden?

Wir glauben, dass die Implementierung von MiCA und die Einführung ähnlicher Regelwerke in anderen Rechtsräumen infolge des FTX-Crash erheblich an Fahrt gewinnen wird. In den kommenden 24 Monaten dürfte die Digital-Assets-Branche also auf wesentlich stabilere Füße gestellt werden als bisher. Das wird für Branchenvertreter natürlich zunächst zu gewissen Herausforderungen und Mehrkosten führen, sich langfristig aber positiv auswirken.

Sie sind mit Ihrem Unternehmen indes in der Schweiz ansässig. Wie effektiv können Sie vom Kanton Zug aus angesichts der regulatorischen Entwicklungen auch künftig den EU-Markt bedienen?

Damit werden wir auch künftig keine Probleme haben. Der Standort ist für uns aufgrund der pragmatischen Regulierung ein Vorteil. Wir operieren damit bereits innerhalb eines erprobten Rahmenwerks und müssen uns daher zwangsläufig regelkonform verhalten. Für uns wird die MiCA-Regulierung der EU also keine Anforderungen bereithalten, die wir nicht sowieso schon erfüllen.

Was genau beinhaltet das?

Wir müssen alle sechs Monate ein Update über unsere Finanzen vorlegen. Damit zeigen wir, wie unsere Produkte besichert sind, welche Struktur unsere Assets haben und dass wir jederzeit in der Lage sind, unseren Verpflichtungen nachzukommen. Wir halten unsere Assets nicht auf zentralen Kryptobörsen, sondern im Cold Storage, abgetrennt von den Anlagen anderer Marktteilnehmer. Außerdem verfügen wir über eine sehr spezifische Drittparteienabsicherung, die uns, unsere Assets und unsere Kunden im Fall einer Insolvenz unseres Verwahrers schützt.

Warum sollten Investoren angesichts dessen nicht gleich vollständig dezentralisieren und ein Direktengagement bei Kryptowährungen suchen?

Gegenüber der Selbstverwaltung eines Wallets hat eine Investition in Exchange Traded Products (ETPs) entscheidende Vorteile. Schließlich müssen sich Nutzer bei diesen nicht darum kümmern, ihren Private Key zu schützen, der Verwaltungsaufwand fällt im Vergleich zur Direkt­investition viel niedriger aus. Gerade zum Einstieg beinhaltet die Führung eines Wallets und die Verwahrung der eigenen Keys und Coins eine sehr steile Lernkurve, die im Gegensatz zum Einstieg in ETPs nicht einfach zu überwinden ist. Dennoch genießen Investoren bei börsengehandelten Produkten viele der gleichen Vorteile wie bei der Selbstverwaltung eines dezentralen Wallets, zum Beispiel auch die deutliche Abgrenzung von den Assets anderer Marktteilnehmer.

Wie entwickelt sich derzeit der Handel mit ihren Exchange Traded Products?

Wir haben während der jüngsten Turbulenzen am Kryptomarkt sehr robuste Handelsvolumen verzeichnet – dies gilt nicht nur für Short-, sondern auch für Long-Produkte. Dennoch schauen wir als Unternehmen weniger auf kurzfristige Trades – denn dass sich der Markt volatil entwickelt, muss jedem klar sein. Vielmehr wollen wir unseren Kunden langfristige Investmentthesen näherbringen und Nutzer an uns binden. Deshalb stellen wir den Marktteilnehmern auch viel Research zur Verfügung. Für institutionelle Investoren wie große Assetmanager kommt es darauf an, dass sie Informationen und Daten erhalten, mit denen sie auch etwas anfangen können.

Inwieweit hat das Interesse dieser Marktteilnehmer unter den jüngsten Verwerfungen gelitten?

Der Trend, dass auch sehr große institutionelle Teilnehmer in den Digital-Assets-Markt eintreten, hat nicht nachgelassen. Schließlich treffen diese Investoren Entscheidungen über ein Engagement sehr langfristig, mit kurzfristigen Hype-Zyklen oder Kursstürzen hat das wenig zu tun. Für uns als Produktanbieter kommt es darauf an, dass wir die Due-Diligence-Anforderungen dieser Investoren erfüllen, auf möglichst vielen liquiden Handelsplätzen vertreten sind und ein attraktives Verhältnis zwischen einer möglichst hohen Produktqualität und einem möglichst niedrigen Preis bieten. All dies ist trotz der Turbulenzen um FTX gegeben.

Trotz der Hoffnung auf eine großflächigere institutionelle Adoption von Kryptowährung sind manche Investoren gegenüber der traditionellen Finanzbranche stark konfrontativ eingestellt. Wie sinnvoll ist eine solche Haltung heute noch?

Eine solche Haltung war noch nie vernünftig. Der Kryptomarkt besteht ja größtenteils aus Infrastrukturlösungen, die sich nur skalieren lassen, wenn die großen Vertreter der Finanzbranche eingebunden werden. Wer darauf beharrt, zentrale Intermediäre wie Börsen und Banken vollständig abschaffen zu wollen, der versperrt sich große Wachstumsmöglichkeiten. Wenn Blockchain- und Digital-Assets-Systeme dauerhaft funktionieren sollen, dann braucht es Milliarden an Nutzern. Das ist ohne Kooperation mit Intermediären nicht zu erreichen – schließlich können Letztere Massen an Bestandskunden in den Kryptomarkt bringen.

Sie wollen also daran arbeiten, die Gräben zwischen der traditionellen Finanzbranche und der dezentralisierten Welt zu überbrücken…

Ja. Wir brauchen die Erfahrungen traditioneller Banken, Börsen, Assetmanager und Broker im Umgang mit Kunden, um eine zufriedenstellende und umfassende Nutzererfahrung zu schaffen. Den Endkunden interessiert ja nicht, auf Basis welchen Systems seine Überweisung getätigt oder seine Order ausgeführt wird, solange er sein Geld oder seine Assets erhält. Gleichsam möchten viele Menschen, die an das Potenzial von Cyberdevisen glauben, sich nicht um die Verwaltung eines digitalen Wallets kümmern.

Wonach entscheiden Sie, welche Kryptowährungen als Basiswerte für Ihre börsengehandelten Produkte in Frage kommen?

Es muss ein stabiles und ausgereiftes Protokoll zugrundeliegen, das uns Möglichkeiten zum Risikomanagement gibt. Entscheidend ist natürlich auch die Nachfrage der Investoren. Der Großteil unserer Kunden kommt ja aus dem traditionellen Finanzmarkt. Wir versuchen also abzuschätzen, ob die Token, die für uns als ETP-Basiswert in Betracht kommen, für diese Investoren auch langfristig interessant sind. Aktuell verwenden wir zudem viel Zeit auf die Entwicklung von Lösungen, mit denen wir einen Vorteil aus der Dezentralisierung des Segments ziehen können, um effizientere Investmentprodukte aufzulegen.

Im September haben Sie indes auch Ihre Unternehmensstruktur umgestellt und den Produktanbieter 21 Shares sowie den Token-Provider Amun enger unter der gemeinsamen Dachmarke 21.co verknüpft. Welche konkreten Effekte ergeben sich daraus für Ihr Geschäft?

Es ist sicherlich noch etwas zu früh, um eine konkrete operative Wirkung festzuhalten. Allerdings haben wir für den Schritt schon viel Zuspruch erhalten, im Rahmen der ersten Finanzierungsrunde unter der neuen Dachmarke sind wir mit einer Bewertung von 2 Mrd. Dollar zum Unicorn geworden. Das eingeworbene Kapital im Volumen von 25 Mill. Dollar setzen wir für eine gezielte Marktexpansion und eben die Entwicklung neuer Produkte ein.

Das Interview führte

BZ+
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