Finanzmärkte

Ein weiteres Jahr der Extreme

Mit in kurzer Zeit stark steigenden Aktien- und Anleihekursen erleben die Finanzmärkte erneut ein Jahr der Extreme. Der Aktienmarkt dürfte nun den schönsten Teil des Auftaktmonats hinter sich haben.

Ein weiteres Jahr der Extreme

Spektakulärer hätte das Jahr 2023 an den Finanzmärkten wohl kaum beginnen können. An den Bondmärkten sind die Renditen in der ersten Woche gefallen wie lange nicht mehr, die laufende Verzinsung der zehnjährigen Bundesanleihe verzeichnete mit 40 Basispunkten den stärksten Rückgang einer Auftaktwoche seit viereinhalb Jahrzehnten. Begleitet wird der fulminante Start von einer nicht minder spektakulären Entwicklung am Primärmarkt. In der zurückliegenden Woche sind auf Euro lautende Anleihen in einem Volumen von rund 100 Mrd. Euro begeben worden, so viel wie noch nie innerhalb eines Zeitraums von fünf Tagen. Rekorde auch am Aktienmarkt: Der Dax ist in zwei Wochen um mehr als 8% bis auf mehr als 15100 Punkte und damit so stark wie noch nie in den ersten zehn Tagen eines Jahres gestiegen.

Nach dem Corona-Crash, der alle Erwartungen übertreffenden, bis ins Jahr 2021 anhaltenden Erholung auf historische Höchststände und der 2022 nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs sowohl Anleihen als auch Aktien erfassenden Baisse erleben die Marktteilnehmer erneut ein Jahr der Extreme. Letztlich ist das Ausdruck der heftigen ökonomischen Verwerfungen durch die Pandemie und den Krieg, die zu einem schweren ökonomischen Einbruch mit anschließender steiler Erholung, zu erheblichen Störungen der globalen Lieferketten, zu stark anziehenden Inflationsraten und im Gefolge zu einer rasanten Welle an Leitzinsanhebungen geführt haben. Letzteres ist der Haupttreiber des aktuellen Marktaufschwungs. Sinkende Inflationsindikationen haben dazu geführt, dass sich die Zinserwartungen gedreht haben beziehungsweise die Marktteilnehmer zunehmend davon ausgehen, dass die Leitzinsen nun nicht mehr ganz so stark weiter erhöht werden müssen wie noch vor Kurzem befürchtet.

Der Aktienmarkt hat aber nicht nur Leitzinserhöhungen ausgepreist, sondern – wozu die Entspannung in der Energiekrise und die Aufhebung der Corona-Restriktionen in China maßgeblich beigetragen haben – auch eine Rezession und Risiken für die Unternehmensgewinne. Das könnte sich auf Sicht als Schwachstelle der Rally erweisen. Wirtschaft und Märkte sind nämlich einem weiteren Extrem ausgesetzt. Weltweit sind die Leitzinsen in einem bisher einmaligen Tempo und in einem seit Jahrzehnten nicht gesehenen Ausmaß angehoben worden – und sie werden noch weiter steigen, wenn auch mit deutlich vermindertem Tempo. Höhere Zinsen entfalten ihre Wirkung auf die Realwirtschaft mit Verzögerung, so dass noch nicht klar ist, ob die Rezessionsrisiken tatsächlich abgeschrieben werden können. Einige Bereiche wie etwa der Immobiliensektor zeigen bereits deutliche Schleifspuren. Andererseits sind die Arbeitsmärkte in Europa und den Vereinigten Staaten nach wie vor stark, was die Konjunktur stützt.

Es ist daher auch nicht unbedingt von einem schweren Rückschlag am Aktienmarkt auszugehen. Allerdings dürfte sich die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer mit dem Start der Berichtssaison nun verstärkt auf die Entwicklung der Unternehmensgewinne richten, und hier wird es wohl deutlich weniger rund laufen. Die UBS etwa rechnet für die USA mit einer erneuten Verlangsamung des Erlös- und Ergebniswachstums und erwartet, dass die Ergebnisse je Aktie der S&P-500-Unternehmen des vierten Quartals nur noch Vorjahresniveau erreichen. Für das Gesamtjahr rechnet sie mit einem Rückgang um 4%. Deswegen hält das Institut eine nachhaltige Rally des US-Aktienmarktes für wenig wahrscheinlich und prognostiziert den derzeit bei 3999 liegenden S&P 500 zur Jahresmitte und zum Ultimo bei 3700 und 4000 Punkten.

Einer Schwäche beziehungsweise Stagnation des amerikanischen Aktienmarktes, der mit einem Plus von 4,2% im S&P 500 bislang deutlich hinter Europa zurückgeblieben ist, wird sich der Dax, der seit Ende September rund 27% gewonnen hat, letztlich nicht entziehen können. Zumindest ist wenig wahrscheinlich, dass der Index in den kommenden Wochen weiter in dem Tempo der ersten Handelstage zulegen wird. Noch einmal 8% in zwei Wochen würden bedeuten, dass der Index Anfang Februar mit rund 16300 Zählern ein Rekordhoch erreichen würde. Das würde nicht so recht zu dem immer noch von vielfältigen Unwägbarkeiten und Risiken geprägten Umfeld passen. Vielmehr würde der Markt dann in Bereiche vorrücken, in denen Enttäuschungen etwa seitens der Unternehmensgewinne Rückschläge unausweichlich machen würden. Den schönsten Teil des Jahresauftaktmonats hat der Aktienmarkt wahrscheinlich bereits hinter sich.

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