Martin Siegel

„Gold ist kein Krisenmetall“

Der Ruf von Gold als Safe-Haven-Asset ist laut Martin Siegel nicht gerechtfertigt. Mittelfristig sieht der Stabilitas-Geschäftsführer aber durchaus Aufwärtspotenzial für das Edelmetall.

„Gold ist kein Krisenmetall“

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Angesichts geopolitischer Turbulenzen und makroökonomischer Verwerfungen sind sichere Anlagehäfen derzeit gefragt. Zu den sogenannten Safe-Haven-Assets wird gemeinhin auch Gold gezählt – laut Martin Siegel, der seit 2011 die operativen Geschäfte und die Beratung der Stabilitas-Edelmetallfonds leitet, ist dieser Ruf jedoch nicht gerechtfertigt. „Zwar steigt der Goldpreis in den Tagen nach Ausbruch einer Krise häufig, diese Avancen sind in der Regel aber nicht nachhaltig“, sagt der Rohstoffexperte. Dies habe sich in den vergangenen 40 Jahren beständig gezeigt, zum Beispiel zu Beginn der Kriege in Irak und Afghanistan.

„Auch im Ukraine-Krieg wird ersichtlich, dass Gold kein Krisenmetall ist“, unterstreicht Siegel. „Ukra­iner kaufen zurzeit sicher kein Gold, sondern lösen ihre Reserven auf, um sich Lebensmittel leisten oder ihre Flucht aus dem Kriegsgebiet finanzieren zu können.“ Russische Marktteilnehmer erlebten derweil einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts und investierten ebenfalls nicht in Gold, weil ihr Einkommen erodiere und sie Jobverluste fürchteten. Die Anleger, die Positionen in dem Edelmetall aufbauten, täten dies nicht in Reaktion auf den Krieg, sondern weil sie aufgrund der noch immer schwachen Geldpolitik Angst um die Kaufkraft in ihrer Währung hätten.

Parallel zum Dollar

Unterdessen hat der Dollar gegenüber zahlreichen Industrieländerwährungen im laufenden Jahr noch einmal kräftig aufgewertet. Dies wird häufig als Belastungsfaktor für Gold angeführt, da der Handel mit dem Edelmetall an den Weltmärkten somit für viele Interessenten teurer werde. „Dieser Zusammenhang gilt aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr“, sagt Siegel. „Zuletzt stimmte die Logik in den 1970er Jahren, als die USA eine sehr lockere Geldpolitik mit einer enormen Ausweitung der Dollar-Bestände verfolgten.“ Die Geldmenge sei damals in den Vereinigten Staaten viel stärker gestiegen als in Deutschland, was den Greenback langfristig unter Druck gesetzt und den Goldpreis angeschoben habe. „Mittlerweile stehen die Geldpolitik der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank aber im Großen und Ganzen sehr stark im Gleichklang“, betont Siegel. Dadurch sei es möglich, dass der Goldpreis parallel zum Dollar steige, so wie es auch in den vergangenen beiden Jahren geschehen sei.

Auch steigende Zinsen seien anders als häufig kolportiert nicht unbedingt negativ für Gold. „Grundsätzlich können sie sogar sehr positiv sein, weil anziehende Renditen ja fallende Anleihekurse bedeuten und durch höhere Finanzierungskosten zugleich Druck auf die Aktienmärkte entsteht – die Zahl der Anlagealternativen nimmt also ab“, führt Siegel aus. Weil die Zinsen insbesondere in den USA allerdings schon sehr stark gestiegen seien und der Dollar fest notiere, sähen viele Marktteilnehmer in Treasuries inzwischen aber doch wieder attraktive Gelegenheiten und bevorzugten sie gegenüber Gold. Insgesamt führe die restriktivere Geldpolitik der Federal Reserve auch deshalb zu Belastungen für das Edelmetall, weil Investoren infolge des Liquiditätsentzugs gezwungen seien, ihre Gewinne aus dem Goldhandel zu realisieren, um Verluste in anderen Assetklassen auszugleichen oder Margin Calls zu bedienen.

Fed unter Druck

Die resultierenden Rückschläge seien aber nur vorübergehend. „Die Fed ist bezüglich der geldpolitischen Kontraktion schon jetzt am Ende ihrer Möglichkeiten“, sagt Siegel. „Lässt sie die Zinsen weiter steigen, geraten die Aktienmärkte noch weiter unter Druck, was gerade in den USA viele Kleinanleger treffen und für Unmut gegenüber der Regierung in Washington sorgen würde.“ Zugleich rutsche die Wirtschaft dann tief in eine Rezession und die Staatsfinanzierung werde angesichts der extrem hohen Verschuldung zu einem unlösbaren Problem. Um dies zu verhindern, müssten die Währungshüter ihre Geldpolitik wieder lockern – möglicherweise auch kurzfristig. „Wenn die Fed aufgrund des zu erwartenden BIP-Einbruchs doch wieder einen expansiveren Kurs einschlägt, signalisiert sie dem Markt, vollständig gegen die Inflation verloren zu haben. Dann wird auch der Goldpreis wieder kräftig steigen“, prognostiziert Siegel.

Spannungen für den Euro

Ähnlich nehme sich die Situation im Euroraum aus. „Bei steigenden Zinsen sind die Staatshaushalte Griechenlands und Portugals nicht mehr mit neuen Krediten der Europäischen Zentralbank zu finanzieren. Zugleich müssten die Bondrenditen schon sehr schnell und stark anziehen, damit die Staatsanleihen dieser Länder für private Investoren interessant werden“, betont Siegel. Für den Euro entstünden indes enorme Spannungen, wenn Gläubiger in Deutschland 1 bis 2% Zinsen erhielten und in anderen Staaten des gleichen Währungsraums 10 oder 15%. Infolge des geldpolitischen Dilemmas sei Gold als Absicherung gegen eine weiter ausufernde Inflation für Anleger aktuell durchaus gangbar, obwohl das Edelmetall nicht günstig sei. „Natürlich müssen Investoren mit gewissen Schwankungen rechnen, ausgehend von den aktuellen Niveaus besteht bis zum Allzeithoch bei rund 2075 Dollar aber noch viel Luft nach oben“, sagt Siegel.

Kurzfristige Rückschlagsgefahr bestehe indes durch die Effekte der harten chinesischen Corona-Strategie auf den physischen Goldmarkt. „Die Lockdowns haben unmittelbare Auswirkungen, weil die Juweliere geschlossen sind und die Kunden auch nicht mehr zur Bank gehen können, um physisches Gold zu kaufen“, führt Siegel aus. Die Teilnehmer an den Terminmärkten beachteten die geringere Nachfrage in der Volksrepublik sehr genau, weshalb die Entwicklung auch auf den dortigen Handel durchschlage. „Investoren müssen aber auch beachten, dass es äußerst negative Auswirkungen auf die Wirtschaft in den USA und Europa hat, wenn die chinesische Konjunktur leidet. Dies wiederum erhöht den Druck auf die Zentralbanken, den Geldhahn wieder aufzudrehen, noch zusätzlich“, sagt Siegel.

Unterdessen sagen Analysten infolge des Nachhaltigkeitstrends eine steigende Nachfrage nach anderen Edelmetallen und seltenen Erden, die zum Beispiel in Solarkollektoren verbaut werden, vorher. „Bei Investmenttrends, die sich stark auf staatliche Subventionen stützen, sollten Anleger zunächst aber vorsichtig sein“, rät Siegel. „Denn diese Mittel können auch wieder abreißen, so ist es beispielsweise der Solarindustrie in Deutschland nach der Jahrtausendwende ergangen.“ Da­mals wurden Unternehmen des Sektors politisch erst stark gefördert – dann wurde allerdings klar, dass die Herstellungskosten in anderen Teilen der Welt wesentlich niedriger waren. Die Anlagen waren nicht mehr wettbewerbsfähig, vom Boom ist heute kaum noch etwas übrig.

„In Bezug auf den Ausbau der Wasserstoffsysteme bin ich aber optimistischer“, sagt Siegel. Schließlich handle es sich um einen klaren globalen Trend, auch wenn dieser noch recht langsam anlaufe. Die zu erwartenden technologischen Sprünge dürften zudem für niedrigere Herstellungskosten für H2-Anlagen sorgen. „Vor allem werden für die Wasserstoffwirtschaft Unmengen an Brennstoffzellen gebraucht, was wiederum die Nachfrage nach Platin langfristig enorm ankurbeln dürfte“, führt Siegel aus. Palladium sei unterdessen interessant, weil es in Katalysatoren eingesetzt werde und damit für die Mobilitätswende wichtig sei.

Bei Silber spielten sämtliche physischen Anwendungen dagegen auch künftig eine untergeordnete Rolle. „Der Einsatz in der Schmuckindus­trie, bei der Desinfektion in Krankenhäusern oder in der Produktion von Spiegeln und Solaranlagen ist für die Preisbildung langfristig irrelevant, weil der Silbermarkt enorm klein ist und immer am Goldmarkt hängt“, betont Siegel.

Silberaktien als Alternative

Unterdessen sei Silber in physischer Form schwieriger zu erwerben als Gold. Wer größere Summen in das Edelmetall investieren wolle, stehe vor einem Lager- und Transportproblem. „Daher ergibt es Sinn, auf Silberaktien auszuweichen“, sagt Siegel. Ein interessanter Titel sei Wheaton Precious Metals, ein sogenannter Royalty-Wert. Das Unternehmen produziere selbst kein Silber, sondern finanziere die Geschäfte von Minengesellschaften und erhalte dafür einen Anteil der Produktion zu einem vorher festgelegten Preis.

Die Dividendenrendite der Aktie betrage rund 1% und hänge eng am Silbermarkt. „Steigt der Silberpreis, steigen auch die Gewinne des Unternehmens und in der Regel auch die Ausschüttungen“, sagt Siegel. „Fällt die Notierung des Edelmetalls, verhält es sich eben andersherum. Das Unternehmen kann aber niemals Verluste machen, weil es nur 20 Angestellte hat und Milliarden umsetzt.“ Auch in den ESG-Ranglisten liege Wheaton weit vorne. Denn das Unternehmen verfüge über einen sehr niedrigen CO2-Abdruck, weil es eben nicht direkt in die Silberproduktion involviert sei.

Andere Unternehmen aus dem Edelmetallsektor stünden aufgrund ihres hohen Energiebedarfs dagegen unter enormem Druck. „Bergbaugesellschaften müssen fürchten, mit ihren Aktien bald überhaupt keine Aufnahme in die Portfolios einer breiten Masse an Investoren zu finden“, betont Siegel. „Deswegen unternehmen sie enorme Nachhaltigkeitsanstrengungen und bauen Sonnenkollektoren, engagieren sich in der Wasserstoffproduktion oder entwickeln Techniken zum Recycling von Abwasser.“ Gerade in Kanada und Australien erzielten die Minenbetreiber bereits große Fortschritte, die dort entwickelten Techniken ließen sich dann zum Beispiel auch auf Projekte in Indonesien oder Afrika übertragen. Dennoch sei durchaus vorstellbar, dass einige Länder auf lange Sicht vollständig aus dem Goldbergbau ausstiegen. „Die re­sultierende Angebotsverknappung dürfte dann sowohl am physischen als auch am Terminmarkt für enorme Preisanstiege sorgen“, sagt Siegel.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.